Orquesta Típica Francisco Canaro(2022) Francisco Canaro(28.11.1888 - 14.12.1964) Spitzname:Pirincho, El Kaiser Status:Tango-Unternehmer, Tausendsassa Aufnahmen:über 3.700 Stil:anpassungsfähiger, verspielter Traditionalist Merkmale:klares rhythmisches Fundament, Klarinette und Trompete |
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Spezialität:König der Milongas, kitschige Valses, Hits in vielen
Jahrzehnten |
Wichtige Sänger:- Charlo, der 'zweite Gardel' (1929-1932) |
Größter Hit:Poema (1935) |
Bedeutende Musiker:- Minotto Di Cicco (Bandoneon) |
Francisco Canaro ist der erfolgreichste Tangomusiker
Argentiniens und repräsentiert wie kein zweiter den
Aufstieg des Tango aus den Armenvierteln von Buenos Aires
ins Herz der argentinischen Gesellschaft. Er produzierte
über 3.700 Aufnahmen, darunter Klassiker wie der von ihm
komponierte Vals Soñar y nada más (1943) oder Poema
(1935), das einige Zeit zu den beliebtesten Tangos zählte.
Der ebenso musikalische wie geschäftstüchtige Sohn
italienischer Einwanderer leitete in den Zwanzigern bis zu
vier Orchester gleichzeitig, produzierte Musicals und
Tango-Revuen, förderte viele andere Musiker wie z.B. Lucio
Demare, verbrannte sich die Finger beim Einstieg in die
Filmindustrie und schuf ein Tango-Imperium, das ihm und
seiner Familie zu Wohlstand verhalf. Besonders Europäer
lieben die Harmonie und Eingängigkeit seiner Musik.
Manchem ist sein Stil dagegen rhythmisch zu vorhersehbar.
So belegte Canaro in einer Umfrage des italienischen
Tango-DJs 'Supersabino' unter 80 Kollegen auch den ersten
Platz bei der Frage nach dem „am meisten überschätzten
Tango-Orchester“. Canaro zählte in den ersten Jahrzehnten
des Tango fast immer zur innovativen Avantgarde. Zumindest
bis 1935 spielte der 'Kaiser', wie er von vielen wegen
seiner Wucht genannt wurde, bei der Anzahl der Aufnahmen
und Verkäufen, auf den großen Karnevalsbällen, im Radio,
im Theater, bei Tango-Musicals und -Komödien fast immer
die erste Geige. |
Musik als Rettungsanker Die Canaros, eine vielköpfige
Emigranten-Familie mit italienischen Wurzeln, lebten in
Buenos Aires in größter Armut und Enge im Milieu der
berüchtigten Conventillos. Die Behausungen der armen Leute
lagen in der Regel im Süden der Stadt und gruppierten sich
meist um Innenhöfe. Hier wurde gelebt, gearbeitet, gekocht
und gefeiert. Die Porteños musizierten und tanzten zur
Musik ihrer Heimat, die Stile vermischten sich, die ersten
Tangos entstanden im ausgehenden 19. Jahrhundert.
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Die Canaros hatten drei
Mädchen, neben Francisco endeten von den insgesamt sieben
Brüdern Mario, Juan, Rafael und Humberto als
Tango-Musiker. |
Im Zentrum des TangoIn La Boca, dem Hafen- und Vergnügungsviertel im Süden
der Stadt, erspielten sich Canaro und sein Trio 1908 ein
erstes Engagement im angesehen Café Royal. In diesem
Viertel mischten sich die vorwiegend italienischen
Einwander mit Einheimischen, die vom Land kamen und ihr
Glück in der sich entwicklenden Großstadt suchten. Das Trio spielte eingequetscht auf einem winzigen Balkon. Schlägereien und Schießereien gehörten damals in La Boca noch zur Tages- bzw. Nachtordnung, sodass Besitzer der "Bars" das Musiker-Balkönchen von unten mit Blech gegen durchschlagende Kugeln schützten. Der Einwanderersohn war auf jeden Fall im Herzen des Tango angekommen und prägte fortan den Pulsschlag der neuen Musik entscheidend mit. Die musikalischen Helden der Zeit, gemeinhin als Guardia Vieja bezeichnet, waren Ángel Villoldo, Roberto Firpo, mit dem Canaro spät abends in der Tranvía den Heimweg teilte, sowie Vincente Greco, in dessen Sextett Canaro 1910 spielte, nachdem sein Trio sich aufgelöst hatte. Tango hatte 1910 an Beliebtheit gewonnen, sodass die Szene von La Boca ins Zentrum der Stadt ziehen konnte und dort die Aufmerksamkeit von Musik-Produzenten erregte. Als Greco und Canaro 1910 die ersten Aufnahmen mit ihrem "Tango"-Orchester machten, nannten sie sich 'Orquesta Típica Criolla', um sich von anderen Genres zu unterscheiden, woraus sich die bis heute gängige Bezeichnung für ein Tango-Orchester, Orquesta Tipica, ableitete. |
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1914 hatte Canaro sich so weit etabliert, dass er mit seiner eigenen Combo auf dem bekannten Medizinerball Baile del internado im berühmten Palais de Glace auftreten durfte, für den er im nächsten Jahr den Klassiker El Internado komponierte. Für die Karnevalsaisons 1917 und 1918 stellte er mit Roberto Firpo ein 15-köpfiges All-Star-Orchester auf die Beine, die fehlenden Verstärkungsmöglichkeiten verlangten große Combos. Das Repertoire soll über 200 Stücke umfasst haben! Die beiden Platzhirsche der Jahre waren Canaro und Firpo, 1918 gelang es Canaro zwar, seinem musikalischen Rivalen Firpo Paroli zu bieten, indem er mehrere seiner Auftrittsorte kaperte, sodass Ende 1918 vier Orchester, z. T. von den Brüdern geleitet, unter seinem Namen in BA spielten, was einer der Gründe für seinen Spitznamen El Kaiser ist. Andererseits musste Canaro, nachdem er 1921 beim Label Odeon mit Aufnahmen startete, für jede verkaufte Schellack einige Cent an Firpo abführen, weil dieser bei Odeon einen Orquesta Típica-Exklusiv-Vertrag hatte. Nachdem der Tango 1913 Paris erobert hatte, tanzte auch die gehobenere Gesellschaft in Buenos Aires in enger Umarmung. Francisco nutzte 1920 seine Chance und war für einige Monate das bei der Aristokratie angesagte Orchester. Mitte der Zwanziger füllten De Caro und Fresedo diese Rolle sehr viel besser aus als das Arbeiterkind Canaro. |
Canaro in ParisCanaro, der seit seiner Jugend viele Liebeschaften pflegte, was auch nach seiner Hochzeit mit der Französin Martha Gesaume 1925 nicht endete, wurzelte letztendlich im Machismo des 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu Troilo, der mit seiner "Zita" Leben und Liebe freundschaftlich teilte, sollte sich die Ehefrau auf ihr Reich beschränken. Beide reisten jedenfalls 1925 zum Honeymoon und als Geschäftsreise nach Paris und ebneten den Weg für das Kapitel "Canaro en Paris". In einer legendären Tour begeisterte er 1925 Paris, seine Combo spielte in den besten Clubs vor der Aristokratie der Stadt, seine Brüder Juan, v. a. aber Rafael Canaro bildeten nach Canaros Rückkehr nach BA im Februar 1928 bis 1939 das europäische Standbein des Canaro-Imperiums.
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Das Canaro-ImperiumNachdem Canaro 1927 nach Buenos Aires zurückgekehrt war,
dominierte er durch harte Arbeit und extreme
Geschäftigkeit schnell wieder nahezu alle Bereiche der
Tango-Unterhaltungsindustrie: Er förderte Talente, er
beschäftigte und begleitete eine Vielzahl von Sängern,
darunter Ada Falcón, Libertad Lamarque, teilweise sogar
die Ikone Carlos Gardel und - wichtigste Stimme für Canaro
um 1930, Charlo. CharloCharlo, ein junger Sänger aus der Provinz, trat ähnlich
wie Gardel nicht für Tanzende auf, wertete aber als
Estrebillista mit seinem 30-sekündigen Gesang über 600
Canaro- und 100 Lomut0- Aufnahmen auf. Sein Name erschien
dabei oft nicht, um weitere Ansprüche des Sängers zu
vermeiden, ganz im Gegensatz zu den
Tango-Canciones-Aufnahmen, bei denen das Orchester eher
den Sänger begleitete und der ganze Text eines Tango
gesungen wurde, Sein klarer, zurückhaltender, anpassungsfähiger Stil
eignete sich perfekt dafür. Der Tango-Hype war jetzt auf
dem Höhepunkt. Ein- bis zweimal pro Woche fand er sich mit
seinen Musikern im Aufnahmestudio ein. 1927 wurden beim
damals den Tangomarkt dominierenden Label ODEON fast 1.700
Tangos aufgenommen, 277 davon waren Canaros. Während Canaro bis 1931 durchaus subtil und lieblich spielte, tendierten die Aufnahmen ab 1932 zu mehr Direktheit und Rhythmus, aber sie waren ja auch für Tanzende gedacht, während er gleichzeitig - mit Charlo oder Ada Falcón - ausdruckstärkere Tango Canciónes aufnahm. Tango-Komödien, Varietés und sehr viel mehr
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Scheitern in der FilmindustrieAuch die Kinos wollte er mit einer eigenen
Produktionsfirma erobern, Zwar war der erste Versuch ein
großer Erfolg, die weiteren Projekte kamen beim Publikum
aber nicht mehr richtig an und erwiesen sich vor allem
finanziell als Flop, sodass Canaro deswegen 1938 bankrott
ging. SADAICDer Geschäftsmann Canaro setzte sich zudem, wenn auch
nicht uneigennützig, für die Rechte der Künstler ein. Nach
jahrzehntelanger Vorarbeit gelang ihm 1941 die Gründung
der SADIAC, des argentinischen Pendants zur GEMA. Fun
fact: Als 1933 ein erstes Vorläufer-Gesetz vom Kongress
verabschiedet worden war, schmissen viele der beteiligten
Musiker eine gigantische Party im Teatro Colón mit
unter anderem 70 Bandoneons, 80 Geigen und 20 Sängern.
Wohlklang fehlte wahrscheinlich .... |
Canaro verliert den Anschlussdenn: D'Arienzo gibt Gas1937 startet D'Arienzo endgültig mit seinen rhythmischen,
quirligen Up-Beat-Interpretationen mit ganz neuer Energie
durch. Exemplarisch steht dafür die Tango-Komposition La
Puñalada, die D'Arienzos Pianist Biagi zur
treibenden Milonga und damit zum Hit der Saison
umgestaltet, die Schellack-Verkäufe schießen in den
Himmel, während Canaros Interpretation desselben Titels im
ursprünglich intendierten Genre Tango blass bleibt. |
Quinteto Don Pancho - Quinteto Pirincho1937 schuf sich Canaro als weiteres musikalisches Standbein ein Quintett, das zunächst Don Pancho, später Pirincho hieß. Als Musiker stand Francisco Canaro immer der Guardia Vieja nahe, also der rhythmisch wie harmonisch etwas einfacher angelegten Spielweise der 20er-Jahre. Nachdem Roberto Firpo mit seinem traditionell spielenden Quartett - als Antwort auf D'Arienzo - große Erfolge feierte, war es nur naheliegend, dass Canaro ihm gleichtat. Zwar orientieren sich Repertoire und Spielweise an der Guardia Vieja, die Aufnahmen des Quinteto bestechen aber durch ihre Frische, Fröhlichkeit und gute Laune, insbesondere die Milongas und Valses können eine DJ-Playliste mit Lebendigkeit würzen. Letztendlich sind diese Aufnahmen aber doch recht konventionell eingespielt, Das Quinteto, in dessen Zentrum ebenfalls Minotto stand, traf sich nur im Aufnahmestudio, nicht auf der Bühne. Pirincho ist übrigens Canaros Spitzname – so heißt
ein am Río de la Plata ansässiger Kuckuck. Als in den 50er-Jahren die Tangobegeisterung immer
weiter abnahm, blieb Canaro vor allem mit seinem Quinteto
Pirincho weiter im Geschäft, eine Reise ins extrem tangobegeisterte Japan 1961
war ein abschließender Triumph. Canaro trat dort sogar in
der ersten Farb-TV-Sendung auf.
Schicksalsjahr 1939Während Canaro sich auf Tournee durch Chile wühlte, um seine Filmschulden abzuarbeiten, hetzte er zwischendurch für wenige Tage zurück nach BA, um die innig geliebte Mutter zu beerdigen, um dann gleich wieder zur Band zurückzukehren. Im gleichen Jahr ging auch Canaros emblematische
Samtstimme Maida solo. Mit den neuen Sänger
Francisco Amor und Rückkehrer Ernesto Famá passte sich nun
auch Canaro vermehrt dem Up-Beat der Jahre um 1940 an.
PersönlichesÜber Canaros frühe Jahre erfährt man viel, sowohl auf Todotango, vor allem aber in Lavocahs Biographie, Nachrichten aus den späteren Jahren sind wie bei vielen anderen Tangogrößen spärlicher, weil man zu Lebzeiten nichts aufschrieb und der Tango in den Siebzigern und Achtzigern in den Dornröschenschlaf fiel und die Menschen während der Dikatur andere Sorgen hatten.
Canaro, der bullige Kaiser, war ein Arbeitstier, ein
Aufsteiger aus der Arbeit, ein echter Porteño, der sich
überall durchsetzte. |
Canaro als KomponistDie Liste con Canaros Kompostionen ist lang.
1939 komponierte Canaro den sensiblen Tango Por vos
... yo me rompo todo oder die Samba-Adaption Que
es lo que tiene la Bahiana
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Arrabalera, aufgenommen 1950 mit dem Quinteto
Pirincho, reklamierte Canaro für sich, nachdem der
eigentliche Komponist, ohne Rechte zu hinterlassen,
gestorben war. Immerhin hören wir auf dieser Aufnahme
Canaros Stimme!
Arrabalero (1950-Quinteto Pirincho)Paulina Mejía and Juan David Vargas - Berlin - 2019
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PoemaGraciela and Osvaldo - 2017 |
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Festlicher DreivierteltaktRund 150 Valses presste der Walzer-König auf Schellack,
das Spektrum reicht von Gemächlichem über Wiener Walzer
bis hin zu Energetischem. Viele Valses, vor allem die früheren, sind für das Genre
eigentlich zu langsam, so manchen Interpretationen wohnt
die Tendenz zum volksfestartigen Schunkeln inne. Langsam und gemächlich 1929-1934
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