Tango Masters: Juan D'Arienzo
Michael Lavocah
(aktualisiert 2022)
Nun also das fünfte Werk von Michael Lavocah, das zwar
bisher nur auf Englisch vorliegt, doch der lockere,
kurzweilige Stil des Autors macht beim Lesen viel Freude.
In seinem Erstling Tango-Geschichten startete der
englische Tangohistoriker seine Einführung in die
wichtigsten Orchester des Tango argentino
konsequenterweise mit dem Orquesta Típica von Juan
D’Arienzo. Schließlich löste der Rey del Compás 1936 mit
seiner energiereichen Musik am Rio de la Plata den
Tanzrausch aus, der die Grundlage für die darauf folgenden
goldenen Jahre des Tango bildete. Innerhalb der Reihe
Tango Masters gab der englische Autor aber Troilo,
Pugliese und Di Sarli den Vortritt. Den Grund dafür spürt
man ein wenig zwischen den Zeilen: Die Begeisterung für
die anderen drei war durchgehend überschwänglich, bei
D’Arienzo purzeln die Superlative etwas weniger, was der
Gesamtdarstellung aber nicht schadet.
Denn gewohnt souverän und faktensicher beleuchtet Lavocah
die wesentlichen Entwicklungen des Orchesters sowie seiner
prägenden Musiker und Sänger. Auf die völlig
unspektakulären Anfänge vor 1935 folgte ab 1936 die
„Geburt“ des Rey del Compás im Cabaret Chantecler, von
Radio El Mundo ins ganze Land übertragen. Von nun an ist
D’Arienzo der König des Taktschlags. Detailreich und mit
zahlreichen Anekdoten sowie beeindruckendem
Detailwissen garniert zeigt uns der Autor, wie D’Arienzo
und sein Orchester über Jahrzehnte dem rhythmischen
Paradigma treu bleiben, sich aber trotzdem den Moden und
musikalischen Entwicklungen anpassen und dabei als eines
der wenigen Orchester über Jahrzehnte in voller Größe
kontinuierlich auftreten und Aufnahmen machen.
Lavocah lässt geschickt und sicher sein umfassendes
Wissen aus allen Bereichen der Tangokultur einfließen,
immer wieder knüpft er intelligent neue Zusammenhänge und
lässt so zumindest ein wenig die Musik- und Tanzkultur
dieser außergewöhnlichen Jahre lebendig werden. Zu kurz
kommt dabei allerdings D’Arienzo als Privatperson. Der
sehr knappe biographische Teil hätte viel umfangreicher
werden dürfen. Aber vielleicht sind die zugänglichen
Informationen so rar, dass man nicht mehr berichten kann.
Aus demselben Grund entstehen wahrscheinlich auch immer
wieder aus Einzelbeobachtungen abgeleitete
Verallgemeinerungen, die aus der Sicht des Historikers mit
mehr Vorsicht hätten formuliert sein können.
Wie in seinen anderen drei Monographien üblich bespricht
Lavokah in allen Kapiteln ausführlich einzelne Tangos,
erzählt damit verbundene Anekdoten, geht auf Komponisten,
Texter und Sänger näher ein oder aktualisiert, indem er
z.B. auf die Bedeutung einzelner Tangos innerhalb der
Auftrittskultur der aktuellen Stars der Tangoszene
hinweist.
Diese Abschnitte wird man beim ersten Lesen überblättern,
da sich doch viele Wiederholungen ergeben und sie eher den
Charakter eines Lexikons oder Nachschlagewerks haben.
Der Anhang komplettiert diese erste vollständige
Auseinandersetzung mit dem Rey del Compás mit einer
Kurzbiographie der frühen Lebensjahre, Zitaten von und
über D’Arienzo, CD-Empfehlungen, einer vollständigen
Diskographie der fast 1000 Titel, einer Auflistung von
fast 20 Formationen des über 35 Jahre bestehenden
Orchesters, einer umfangreichen Bibliografie sowie eines
Glossars wichtiger Begriffe rund um die Tangomusik.
Ganz klar, Michael Lavocah hat ein weiteres,
faktenreiches, und in nahezu allen Facetten äußerst
interessantes und lehrreiches Meisterwerk abgeliefert,
das, wie schon die vorherigen Bände, seinesgleichen sucht.
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