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Orquesta Típica Aníbal Troilo


El Bandoneón Mayor und seine Musiker

14.07.1914  +18.05.1975

Spitzname

El Gordo (der Dicke), Pichuco (Lunfardo für ‚kleiner Hund’)

Aufnahmen:

mehr als 450

Kaufen:

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Spezialität

inniges Zusammenspiel zwischen Sänger und Orchester, schnell Wechsel zwischen lyrisch und rhythmisch


Eine schöne Diskografie findet sich hier: La Milonga di Alvin.



Stil

komplex, dynamisch, poetisch

kontrastreich, der Klang von Troilos Bandoneon

Größte Hits:

Toda mi vida (1941, Fiorentino), Uno (1943, Marino), Sur (1948, Rivero)
Quejas de bandoneón (1944, 1958)

Wichtige  Sänger:

Francisco Fiorentino (1937-1944)
Alberto Marino (1943-1947)
Floreal Ruiz (1944-1948)
Edmundo Rivero (1947-1949)
Roberto Goyeneche (1956-1963)

Bedeutende Musiker:

Piano: Orlando Goñi (1937-1943), musikalisches Genie, Bohemien

Geige: David Díaz, spielte von 1938-1975 die erste Geige

Bass: Kicho Díaz, Metronom und Kraftzentrum (1937-1959)


Quellen:





Einleitung

Aníbal Troilo eroberte die Herzen der Porteños mit seinem einfühlsamen Bandoneonspiel, einem unvergleichlichen Charakter und mit seiner großen Güte und Menschlichkeit.

Nicht umsonst feiert Argentinien an seinem Geburtstag gemäß dem Gesetz Nr. 26.035 den Día Nacional del Bandoneón.


Troilo war erst 23, als er mit seinem Orchester debütierte. Zusammen mit seinen Musikern brachte er den Tango um 1940 zu seiner vollen Reife. Er gab seinen grandiosen Sängern viel Raum und ließ ihre Stimmen mit der begleitenden Musik des Orchesters immer mehr verschmelzen.

Sein Stil wurde für viele zeitgenössische und nachfolgende Orchester wegweisend: eine um oft traurige und melancholische Texte arrangierte feinfühlig orchestrierte Mischung aus Rhythmus und filigranen Melodien.

Zusammen mit Juan D’Arienzo, Carlos Di Sarli und Osvaldo Pugliese zählt er zu Recht zu den Großen Vier des Tangohimmels.








Vom Kinderstar zum Orchesterleiter

Pichuco war ein leidenschaftlicher Fußballer. Daher klingt die Anekdote schön, dass der Zehnjährige zum ersten Mal ein Bandoneon hörte, als er einen verschossenen Ball aus einem Café der Nachbarschaft holte.

Der Klang des Bandoneons faszinierte den Kleinen jedenfalls früh. Trotz größter Armut erstand die Mutter, seit einigen Jahren verwitwet, deshalb für ihren Jungen ein echtes Doble-A (=Alfred Arnold aus Sachsen). Es begleitete ihn fast bis an sein Lebensende.

Aníbal erhielt Unterricht und übte so leidenschaftlich, dass er schon nach kurzer Zeit in einem Stummfilmkino der Nachbarschaft engagiert wurde.

Die Investition der Mutter in den Fueye (Balg), wie das Bandoneon auch genannt wird, zahlte sich von nun an aus. Mit 14 brach Pichuco die Schule ab, spielte kurz in einer Mädchenband, reifte, erwarb sich große Anerkennung und entwickelte sich zu einem Musiker mit großer stilistischer Bandbreite.

Anfang und Mitte der 30er-Jahre musizierte er in wechselnden Besetzungen mit zahlreichen progressiven und sich gegenseitig inspirierenden Freunden wie Alfredo Gobbi, Pedro Maffia, Elvino Vardaro, Osvaldo Pugliese und, besonders prägend, Ciriaco Ortíz.

1937 organisierte der junge Star sein erstes eigenes Orchester. Er war zwar erst 23 Jahr alt, aber schon über zehn Jahre im Geschäft.

1933 war Troilo mit dabei im Sextet von Vardaro, wo wir ihn zum ersten Mal hören können.

Tigre Viejo, 1933

Die Aufnahme ist ein sogenannter Acetat-Mittschnitt, der direkt in Vinyl erfolgte, was weniger aufwändig war, als der Direktschnitt in Wachs, der dann in einem langjährigen Prozess als Master aufbereitet werden musste.






und in diesem Filmausschnitt sehen wir den jungen Troilo noch ohne Bhudda-Gesicht im Film Cuidad ebenfalls mit dem Vardaro-Sextett.




Im Cabaret Marabú (1937) und Tibidabo (1942)

Troilo hatte Glück: Das Cabaret Marabú, eines der bedeutendsten Ballhäuser der Stadt, suchte gerade eine neue Tango-Combo. Sein Sänger Francisco Fiorentino, älter, erfahrener, von Beruf Schneider, brachte seine jungen Mitmusiker auf Linie und stimmte sie auf das noble Ambiente ein: perfekt sitzende Anzüge, akkurates Auftreten, Pünktlichkeit und immer ein fröhliches Lächeln.



Anfang der Vierziger finden wir Troilo dann im Café Germinal, im April eröffnete er mit seiner neuen Band das neue Cabaret Tibidabo, Nachfolger des Royal Pigall, das bis zu dessen Schließung 1955 sein Stammhaus wurde, wo Troilo meistens von April bis Dezember 4 bis 6 mal wöchentlich spielte.



Der Start war solide, aber nicht überwältigend.

Michael Lavocah zeichnet in seiner Monografie über Troilo anhand von Pressekritiken nach, wie die Band im Laufe des Jahres 1938 reifte und nach und nach ihrem Stil fand.

1938 ergatterte Troilo bei Odeon, einer der beiden großen Plattenfirmen, einen Vertrag über drei Jahre, der sich aber als Sackgasse erwies. Odeon gestand Troilo in dieser Zeit nur zwei Aufnahmen zu, Comme il faut und Tinta verde. Sie strotzen heute noch vor Kraft und Energie, doch sie waren wohl zu avantgarde, die Verkäufe blieben mäßig.

Es ist mehr als bitter, dass die wichtigen Jahre zwischen 1938 und 1940 nicht auf Schellack dokumentiert wurden.  Erst nach dem durchschlagenden Erfolg von Toda mi vida in der Karnevalsaison 1940 nahm nun das zweite große Plattenlabel, RCA Victor, die Band unter Vertrag.

Zwölfmal waren sie ab 1941 im Aufnahmestudio. Es gibt heute wohl kaum einen DJ, der einen Abend ohne diese 24 Aufnahmen gestaltet. Sie sind energiereich, rhythmisch, aber gleichzeitig reicher, anspruchsvoller und abwechslungsreicher arrangiert als die Musik des Platzhirschen D’Arienzo. Rhythmische und melodische Phrasen folgen aufeinander, für Troilo typisch, in schnellem Wechsel.

1946: u.a. mit Troilo (Mitte), Manzi, Razzano, Ortiz, Lomuto, Castillo, Maffia, Laurenz




Toda mi vida - 1940 - Fiorentino - mit vielen Bildern der Musiker






Zita

1938 hatte Troilo die Liebe seines Lebens kennengelernt, die griechischstämmige Ida Calachi, genannt ‚Zita’.

Schon nach einem halben Jahr bezogen sie eine gemeinsame Wohnung. Sie war ihm zeitlebens bis zu seinem zu frühen Tod eine enge Freundin.

Beide hörten gemeinsam Musik, sie beriet ihren Buddha, wie sie ihn wegen seines mächtigen Gesichts nannte, bei der Auswahl von Musikern und Sängern. Sie war ihm eine Stütze bei Krankheiten, und versuchte, seinen Alkohol- und Kokain-Konsum zu mäßigen.











Aníbal Troilo - Bandoneón

„Er spielt einen Ton und trifft dich damit mitten ins Herz!“, rühmt ihn Pascual Mamone.

Troilo war sicher nicht der größte Virtuose, aber er legte am meisten Gefühl und Ausdruck in seine Musik, verfügte, wie sein frühes Idol Pedro Maffia, über eine samtige Phrasierung und war von Pedro Laurenz’ brillanter Technik inspiriert.

Meist leicht nach vorne gelehnt, mit geschlossenen Augen, spielte er sein Instrument, das riesige Doppelkinn hing dabei herab. Er war in einer anderen Welt und doch ganz eng mit seinem Publikum verbunden. Sein Bandoneon schien mit den Zuhörern zu sprechen. Die Porteños sind sich in ihrem Urteil recht einig: El Gordo gilt als einer der ganz großen Bandoneonspieler des Tango.


Singen wie Gardel – von Arrangeuren und Radiergummis

Die Komponisten lieferten selten vollständige Notensätze, sondern, in Form von Klaviernoten (Bass und Melodiestimme(n) ), nur Melodien für Strophe, Refrain, sowie rhythmische Muster für die Begleitung und im besten Fall Vorschläge für bestimmte Soli.

Jedes Orchester arrangierte dann in seinem Stil, verteilte Abschnitte und Soli auf die verschiedenen Instrumente, gestaltete Intros und Übergänge.

Troilo war ein musikalischer Autodidakt ohne fundierte Ausbildung. Er hatte aber ein großes Geschick für feine, komplexe und dennoch ausgewogene Arrangements.

Das Setzen der Noten für ein vielköpfiges Orchester überforderte ihn daher. Und so überließ er es schon bald professionellen Arrangeuren, nachdem die Reihen der Bandoneons und Geigen weiter gewachsen. In den Vierzigern kamen dann auch noch die Stimmen von Viola und Cello mit ins Orchester.

Die groovenden Hits der Jahre 1941 und 1942 prägten Orlando Goñi sowie der fleißige, stilsichere Arrangeur Hector María Artola.

Seit 1942 tobte sich in dieser Rolle neben Argentino Galván, der schon für das Orchester von Miguel Caló wegweisend war, auch der Querkopf Astor Piazzolla aus, der von Troilo immer wieder zurechtgestutzt werden musste.



Troilo wollte immer, dass das Orchester selbst mit so viel Ausdruck spielt wie eine menschliche Stimme, ja, es sollte klingen wie Carlos Gardels Gesang.

Dies erklärt die starken Wechsel in der Dynamik, der Klangfarbe und der Instrumentierung. Gleichzeitig bettete er den Sänger wie ein weiteres Instrumente vollständig in das Orchester ein und ließ ihm oft viel Raum.

Troilo wollte, dass die Musik selbst die Poesie der Tangotexte erzählte.



Gesang und Musik verschmelzen miteinander, ergänzen sich mit Gegenmelodien, die Instrumente nehmen den Einsatz des Gesangs vorweg oder untermalen ihn. Oft ist es ein Geigen- oder Bandoneonsolo, das die Emotion des Textes verkörpert.

Nachdem das Orchester 1943 durch Cello und Viola erweitert worden war, wurde der Kontrast zwischen sinfonischen, druckvollen Passagen und leisen, ineinander verwobenen Melodielinien noch größer.



Wenn seine Arrangeure die fertigen Stücke dann mit dem Orchester probten, kam Troilos gefürchtetes Radiergummi zum Einsatz. Mit untrüglichem Gefühl strich er Noten und ganze Passagen, damit die Musik genug Luft hatte.


Troilo, der Komponist

Troilo komponierte selbst rund 60 Tangos, einige wie Toda mi vida (1941), Barrio de tango (1942), María (1945), Sur (1948) oder Romance de barrio (1947) zählen zu den großen Klassikern.

Bahnbrechend war seine Zusammenarbeit mit den begnadeten Tangopoeten der 40er-Jahre wie Homero Manzi oder José María Contursi. Letzterer verewigte sein unermessliches Liebesleid um seine unerfüllte Liebe zu der selbstbewussten Provinzschönheit Gricel in rührenden wie beklemmenden Texten. (Hier geht's zum Liebesdrama)



Francisco Fiorentino – Prototyp des Cantor de Orquesta


Fiore, so sein Spitzname, begann eigentlich als Bandoneonspieler, sang aber, z.B. bei Francisco Canaro, schon in den 20ern die Refrains. Troilo bettete Fiorentinos Gesang in seine filigranen Arrangements ein. Und so entwickelte er sich zum bis heute legendären herausragenden Cantor de Orquesta (=Orchestersänger) der frühen Vierziger.

Denn er phrasierte zwar freier und inspirierend, gab den Tanzenden aber trotzdem immer ausreichend rhythmische Orientierung. Alberto Castillo, Sänger von Tanturi, startete 1943 eine sehr erfolgreiche Solokarriere. Fiore wollte es ihm gleichtun. Er machte sich Ostern 1944 ebenfalls als Solostar selbständig.

Zunächst leitete Troilos ehemaliger Pianist Orlando Goñi sein Orchester. Anschließend beauftragte Fiore Astor Piazzolla mit der Leitung seines Orchesters. Die Magie, die zusammen mit Pichuco entstanden war, erreichte er aber nie wieder.


Weitere Sänger

Nicht nur der allgemeine Trend, langsamer zu spielen, veränderte nach 1941 den Sound, sondern auch ein neuer Sänger.

Bei der Wahl Alberto Marinos, erst 20 Jahre alt, aber als Opernsänger perfekt ausgebildet, hatte Troilo wieder einmal ein glückliches Händchen bewiesen.

Die goldene Stimme des Tango, wie er genannt wurde, hinterließ Perlen wie Uno (1943), Fruta amarga (1945) oder Maria (1945) und phrasierte noch freier als Fiorentino. Troilo verfügte nun über eines der besten Sängerpaare.



In den folgenden Jahrzehnten liehen unter anderem große Gesangspersönlichkeiten wie Floreal Ruiz, Raúl Berón, Edmundo Rivero oder Roberto Goyeneche diesem wunderbaren Orchester ihre Stimme.



Edmundo Rivero (1947-1950)

Rivero (1911-1986) trat ein schweres Erbe an. Andererseits überzeugt er durch seine ganz eigene Sängerpersönlichkeit. Rivero war Bass-Bariton und kein Tenor wie die bisherigen Stimmen. Sein Vortrag ist rauhbeinig, sprechend.

Gleichzeitig galt Rivero als ausgesprochen hässlich.

Doch Troilo spürte das Außergewöhnliche dieser Person, die zuvor weder mit De Caro noch mit Salgán so richtig zum Durchbruch gekommen war.

Aber Rivero hatte eine große Fangemeinde. Und er beeindruckte als Komponist, Sänger und Gitarrist. Oft begleitete er sich mit seinen riesigen Händen selbst zur Gitarre.

Beim Probesingen saß Troilo mit ihm in einer Kneipe und sie sangen gemeinsam bis tief in die Nacht. Troilo war ein warmherziger Mensch, der Freundschaft, Menschlichkeit und Musik von Herzen auslebte.

22 Aufnahmen enstanden, darunter Yira, yira. Die ganze Kraft seines Gesangs kulminiert in Troilos Komposition SUR.

Rivero ist in den 60ern und 70ern Stammbesetzung der Tango-Bars Caño 14 und Viejo Almacén, seine wichtigsten Orchester sind die von Salgán und Leopoldo Federico, der charaktervolle Sänger starb 1986.

Sur (1948)
Edmundo Rivero

Roberto Goyeneche (1956-1963)

El Polaco (1926-1995) arbeitete als Busfahrer, bis er 1944 einen der üblichen Gesangswettbewerbe gewann und 1947-1952 zunächst für das Orchester von Raúl Kaplun sang.

Dann fuhr er wieder Bus, sang für die Fahrgäste und wurde dabei für das Orchester von Salgán entdeckt (1952-1956), von wo ihn Troilo abwarb. Neben den vielen Konzerten entstanden bis 1963 39 Aufnahmen.

El Polaco hat eine einmalige Sandpapier-Stimme und eine einmalige Art des Vortrags. Er knetet und formt die Melodien wie kaum ein anderer. Das ist kaum noch Tanzmusik, aber größter Hörgenuss.

Dabei ähnelt seine Stimme durchaus der von Rivero.

In den 70ern galt Goyeneche als die größte Stimme des Tango, er wird zum Mythos seiner selbst.

Seine Phrasierung ist voller Charakter, sein Gesang wird immer mehr zum Vortrag. Nahezu täglich steht er im Caño 14 auf der Bühne.

Bei den letzten Aufnahmen des Troilo-Orchesters ist er dabei, zwar ohne Stimme, aber mit noch ausgeprägterer Phrasierung. In den Achtzigern arbeitet er mit Piazzolla, dem Sexteto Tango oder dem Sexteto Mayor zusammen. Er stirbt 1995.

Sur
Roberto Goyeneche




Musiker


Orlando Goñi - Klavier - El Pulpo

Es war vor allem Orlando Goñi, der zusammen mit Troilo die Spielweise und die stilistische Entwicklung des Orchesters der frühen Jahre prägte.

Goñi war ein außergewöhnlicher Pianist, der frei über alle Register improvisierte. Weil seine Arme dabei wild über die Tastatur flogen, erhielt der schlaksige, blasse Dandy den Spitznamen Pulpo, der Tintenfisch.

In vielen Tango-Orchestern markiert das Klavier zusammen mit dem Bass wie ein Metronom präzise den Rhythmus und ersetzt so das fehlende Schlagzeug.

Goñi hingegen spielte variabler, verzögerte und beschleunigte, oft im Dialog mit Troilos Bandoneon und Fiorentinos Gesang. Daneben trieb er das Orchester mit wilden, in Bordana-Technik  geschlagenen Akkorden seiner linken Hand an, während die Rechte melodische Linien perlen ließ.

Bordona: Die Töne werden nicht gleichzeitig angeschlagen, sondern ganz kurz nacheinander, wie beim Anschlagen von Gitarrensaiten.


Wie Goñi über alle Oktaven improvisierend dem Orchester einheizt, hört man gut im kontrastreich und lebendig arrangierten Instrumentaltango C.T.V (1942).

Doch das Genie lebte das Leben eines Bohemien. Goñi trank viel, konsumierte Drogen. Wegen seiner Unzuverlässigkeit trennte sich Troilo 1943 schließlich von ihm.

Ein gutes Jahr gelang es Goñi, mit einem eigenen Orchester, teilweise zusammen mit Fiore, zentrale Radiosendeplätze zu erobern und Tänzer im Café Nacional zu begeistern,

1944 verstarb er – ein Jim Morrison des Tango – geschwächt mit nur 31 Jahren.


José Basso (1919-1993)

Schon mit 13 Jahren übernahm er das Piano bei Juan Sánchez Gorio, 1943, mit 24 Jahren, erfahren und vielseitig ausgebildet, musste er bei Troilo das Supertalent Goñi erstetzen.

Es gab keine Noten, an die er sich hätte halten können. Troilos Arrangeure hatten es bald aufgegeben, für Goñi etwas zu schreiben, denn seine Improvisationen waren, wie sie selbst zugaben, einfach besser.

1947 gründete Basso sein eigenes, sehr erfolgreiches Orchester mit Fiorentino, Ricardo Ruíz und Oscar Ferrari, Rodolfo Galé, Alfredo Belusi als Sänger und blieb bis 1990 mit unterschiedlich Formationen sehr erfolgreich präsent in der Tango-Kultur.



Die Brüder Díaz – langjährige Stützen des Orchesters

Goñi, Troilo und Fiorentino phrasierten oft sehr frei, spielten bewusst mal vor, mal nach dem Beat. Möglich machte dies über zwei Jahrzehnte das stets präzise, sichere Bassspiel von Kicho Díaz, der 1938, auch erst 20 Jahre alt, zum Orchester stieß. David, Kichos Bruder, strich sogar fast vier Jahrzehnte lang, von 1937 bis zu Troilos letzten Auftritten 1975, die erste Geige.

Mit seinem lieblichen Geigenton prägte er die melodischen Passagen, die, für Troilo so typisch, mit den rhythmischen Abschnitten wechseln.


Astor Piazzolla – auf dem Weg in die Tango-Moderne

So wie der kleine Troilo selbst ein gutes Jahrzehnt zuvor die Auftritte des Sextetts der Brüder De Caro bewundert hatte und sich daran schulte, so verfolgte der junge Astor, der traditionellen Szene in Liebe und Skepsis verbunden, um 1939 die Auftritte von Troilo im Café Germinal, bis er alle Stücke auswendig konnte.

Als ein Bandoneonspieler erkrankt war, nutzte der 18-Jährige seine Chance, spielte vor und wurde in das Orchester aufgenommen. Er war ein unruhiger, verspielter Geist, Troilo verpasste ihm nicht von ungefähr den Spitznamen Gato (Katze).


1942 drängte der frühreife, geniale Piazzolla, der sich permanent in Komposition weiterbildete, auch in die Rolle des Arrangeurs und forcierte die musikalische Entwicklung des Orchesters mit abwechslungsreich orchestrierten Klassikern wie Uno (1943, Marino), Inspiración (1943) oder Chiqué (1943), letzteres mit einem wunderbaren Bandoneonsolo von Troilo als Finale.

Tänzer taten sich mit diesen Arrangements damals schwer. Das störte Astor nicht, er mochte die Cabarets sowieso nicht, und in seinen Augen bremsten die Tänzer die musikalische Weiterentwicklung des Tango.

Schließlich verließ er Troilo im Juni 1944 nicht gerade im Frieden, kehrte aber nach 1950, als der Tango seine Bedeutung als Tanzmusik schon verloren hatte, als wichtigster Arrangeur zurück.






Der spätere Troilo


Musik zum Hören

Die späteren Phasen Troilos sind noch einmal eine ganz eigene Geschichte.
Die Aufnahmen der mittleren (1949-1960) und späten (1960-1975) Schaffensperiode hören Tanzende höchstens einmal als romantisches Finale eines Tangofestes.
Das Orchester spielte für Kino, Radio und Konzertsäle, aber kaum mehr fürs Parkett. Die Musik ist nun sinfonisch, komplex, teilweise auch experimentell.

Stimmen oder Streicherteppiche stehen im Vordergrund, Tänzern fehlt die Energie der frühen Jahre – doch genussvolle Hörer erleben in Miniopern wie Responso (1951), das Troilo anlässlich des Todes seines Lieblingstangopoeten Homero Manzi komponierte, oder El motivo (1962) mit der raubeinigen Stimme von Roberto Goyeneche (1961) und Klassikern wie Inspiración (1957), Nocturna (1957) oder Payadora (1966) großes musikalisches Kino.



Troilo war in seiner späten Phase nach 1960 bis zu seinem zu frühen Tod im Mai 1975 mit Konzertmusik sowie Shows in Fernsehen und Theatern musikalisch aktiv. Oft schleppte er sich mit eingeschränkten Kräften auf die Bühne. Oft übernahm einer seiner Musiker besonders anspruchsvolle Passagen.

Das Troilo-Grela-Quartett

Nach einem bejubelten gemeinsamen Auftritt mit dem Gitarristen Roberto Grela gingen beide nach 1953 zweimal ins Studio. Im Gegensatz zu den sehr reich arrangierten Orchesterstücken reizen diese oft nur nach Absprache, also a la parilla arrangierten Quartett-Aufnahmen dadurch, dass man Troilos frisches, gefühlvolles Spiel mit dem Gardel der Gitarre unmittelbar heraushört.





Troilo für Tanzende

Aus der Vielzahl musikalischer Perlen eine repräsentative Best-of-Liste zu erstellen fällt schwer!
Eine vernünftige, einigermaßen vollständige Zusammenstellung möglicher Tandas findet sich bei Clint Rauscher tangology101


Energiereiche Tangos der frühen 40er

Rhythmische, temporeiche Power-Instrumentalstücke wie Tinta verde (1938) oder Milongueando en el 40 (1941) leben von Goñis grollenden Piano-Akkorden und lebendigen Arrangements.

Toda mi vida , Te aconsejo que me olvides, Yo soy el tango und Maragata (1941, Fiorentino) sind ebenso unerreichte Klassiker wie Pajaro ciego (1941), in dem Fiorentino im Duett mit dem unbekannteren Sänger Amadeo Mandarino zu hören ist.


Guapeando
Eva Icikson and Brenno Marques – Bratislava - 2018




Tinta roja
Horacio Godoy and Cecilia Berra, Aníbal Troilo-, PLANETANGO-XXIV Festival


Te aconsejo que me olvides
Alejandra Mantinan & Aoniken Quiroga - 8th Dubai Tango Festival 2016



Fausto Carpino & Stephanie Fesneau, vaMOS Italian Intervention 14-18.06.2012

Yo soy el tango
Horacio Godoy and Cecilia Berra, 4-5, Moscow, Russia, Planetango16, 11.02.2016


Toda mi vida
Luna Palacios and Javier Rodriguez - London 2017



Lyrische Meisterstücke

Mit Alberto Marinos Stimme änderte sich das Repertoire noch stärker hin zu zärtlicheren Einspielungen wie Uno (1943), Torrente (1944) oder María (1945). Auch wunderbare Tangos mit Fiorentino wie Farol (1943), Gime el viento (1943) und Yuyo verde (1945) oder La noche que te fuiste (1945), gesungen von Fiorentinos Nachfolger Floreal Ruiz, folgen diesem Trend. Sur (1948), Troilos wohl berühmteste Komposition mit der ganz eigenen Stimme Edmundo Riveros, war Troilos liebster gesungener Tango.

Corazon No le hagas caso
Diego Riemer y Maria Filali - Paris - 2018


Maria
Maria Filali and Gianpiero Galdi - Cluj - 2018
 


En esta tarde gris
Carlitos Espinoza & Noelia Hurtado - Freiburg - 2012


Gricel
Ewa Wojtkiewicz and Piotr Roemer - Warschau 2018

La noche que te fuiste
Christian Marquez et Virginia Gomez (Los Totis) - Montreal - 2014


Uno
Virginia Gomez and Christian Marquez –  – Warschau, 2019



Spätes:


La bordona
Lorena Tarantino & Gianpiero Galdi - Istanbul 2019





Anspruchsvolle Valses

Wie nur wenigen anderen gelang es Pichuco, Valses einzuspielen, die genretypisch mit großer Energie im Dreivierteltakt vorantreiben und gleichzeitig angefüllt sind mit abwechslungsreichen, anspruchsvollen Spielereien:
Tu diagnóstico (1941, Fiorentino), Valsecito amigo (1943, Fiorentino) oder Flor de lino (1947, Ruiz)

Troilos Komposition Romance de barrio (1947, Ruiz) zählt zu den schönsten Melodien des Genres, feinfühlig interpretieren die Musiker Soñar y nada más (1943, Fiorentino/Marino).
Ruhiger, lyrischer und anspruchsvoller ist Llorarás... llorarás... (1945, Floreal Ruiz).
Lagrimitas de mi corazón (1948, Ruiz/Riviero) zeigt die Klasse des Orchesters Ende des Jahrzehnts


Valsecito amigo
Eva Icikson and Brenno Marques – Bratislava 2018


Lloraras, lloraras
 Lorena Tarantino y Gianpiero Ya Galdi
 Querido Milonga, Tel-Aviv -2019





Milongas für Kenner

Mano brava (1941, Fiorentino), Ficha de oro (1942, Fiorentino) und De pura cepa (1942, Instrumental) ergeben eine anspruchsvolle, energiereiche Milonga-Tanda.


Mano brava
Noelia Hurtado and Carlitos Espinoza Cluj 2017

Con todo la voz que tengo
Clarisa Aragon and Jonathan Saavedra – Berlin 2017